Was sind perinatale Krisen?
Die Geburt eines Kindes ist eines der prägendsten Erlebnisse im Leben einer Frau. Doch auch trotz bester Vorbereitung und bester medizinischer Betreuung kann eine Geburt – und die Zeit danach – für Mütter sehr belastend sein. Jede Geburt verläuft anders und ganz individuell. Aus einem vermeintlichen „Standardeingriff“ kann unter Umständen ein tiefgreifendes Trauma für Mutter UND Kind entstehen. Und selbst, wenn beim Geburtsvorgang – ob nun auf natürliche Art oder per Kaiserschnitt – alles reibungslos verlaufen ist, können Erkrankungen, wie eine postpartale Depression das Mutter-Kind-Verhältnis überschatten und zu schweren Schuld- und Schamgefühlen bei der frischgebackenen Mutter führen.
Wenn aus einem Paar Eltern werden, verändert dies das bisherige Rollenverhältnis. Was harmlos klingt, ist jedoch ein anspruchsvoller Prozess, der durchaus zu einer Beziehungskrise werden kann. Der Alltag mit einem Neugeborenen, die Hormonschwankungen und die Übermüdung zehren an den Nerven aller jungen Eltern. Kommen dann noch hohe Erwartungen oder Perfektionsansprüche hinzu, kann aus dem Traum des Familienglücks schnell ein Albtraum werden.
Du bist nicht alleine!
Wir haben selbst die unterschiedlichen Krisen rund um die Geburt unserer Kinder erlebt und längst nicht alle sind so offensichtlich wie z.B. bei einer (medizinisch notwendigen) Trennung von Mutter und Kind kurz nach der Geburt, ein ungeplanter Kaiserschnitt oder andere Komplikationen. Geburtskrisen und -traumata betreffen weit mehr Familien, als man gemeinhin denkt!
Mögliche perinatale Krisen und belastende Geburtsumstände:
- Ungeplanter Kaiserschnitt
- Medizinische Komplikationen
- Frühgeburten
- Postpartale Depressionen, Wochenbettdepressionen, "Baby-Blues"
- Probleme / Krisen während der Schwangerschaft
- Trennungen / Verlassenwerden vom Vater
- Gewalterfahrungen, Übergriffe, häusliche Gewalt
- Zwangsgedanken
- Peripartale Psychose
- Posttraumatische Belastungsstörung
- Suizidgedanken
Risikofaktoren für die Entwicklung von perinatalen Krisen
Nicht jede Geburtskrise oder postpartale Depression kündigt sich vorher an. Dennoch lassen sich einige Risikofaktoren für die Entwicklung einer perinatalen Krise ausmachen. Wer bereits im früheren Leben an Vorerkrankungen wie Depressionen, Ängsten, Essstörungen oder Belastungsstörungen litt, kann mit höherer Wahrscheinlichkeit eine postnatale Krise entwickeln. KANN – nicht MUSS! Denn auch TROTZ psychischer Vorerkrankungen oder schwieriger familiärer oder sozialer Umstände, kann natürlich eine unbeschwerte und freudvolle Geburt möglich sein. Und die wünschen wir dir und deinem Kind von Herzen.
Erkennst du einige der nebenstehenden Risikofaktoren bei dir wieder?
Dann gib besonders gut auf dich Acht und hole dir ggf. professionelle, medizinische und/oder therapeutische Unterstützung. Wir unterstützen dich gerne mit unseren Erfahrungen in unserer Selbsthilfegruppe.
Zu möglichen Risikofaktoren zählen:
- Frühere eigene Depressionen und psychische Belastungsstörungen
- Bereits vorhandene traumatische Erfahrungen
- Schwierige Geburt für Mutter und Kind
- Fehlende oder geringe Unterstützung durch andere Menschen
- Angststörungen, Panikattacken oder andere psychische Erkrankungen
- Früh- oder Mehrlingsgeburten
- Vorangegangene Tot- oder Fehlgeburten
- Eigene schwierige Kindheit
- Hohe Perfektionsansprüche der Mutter an sich selbst
- Frühere sexuelle Belästigung oder sexuelle Gewalterfahrung
- Zukunftsängste, finanzielle Sorgen, etc.
- und viele mehr....
Krisen in Kreißsälen, Krankenhäusern & Geburtsstationen
Obwohl Deutschland ein Land mit hohen medizinischen Standards und umfangreicher ärztlicher Versorgung ist, sieht die Situation in der Geburtshilfe immer dramatischer aus: Aus Kostengründen wurden in den letzten Jahren unzählige Geburtsstationen und Kreißsäle geschlossen und entsprechendes Fachpersonal eingespart. Die Folgen für werdende Eltern: Längere Anfahrtsfahrtswege, Personalmangel und ggf. überfüllte Geburtsstationen. Schlimmstenfalls werden Frauen unter Wehen vor einem Krankenhaus abgewiesen! Laut Ärzteblatt musste jede dritte Geburtsklinik bereits Schwangere abweisen. Für die betroffenen Frauen oft ein traumatisches Erlebnis!
Eine Geburtsbegleitung durch Hebammen oder Entbindungspfleger ist heutzutage ebenfalls leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Zum einen wird Hebammen die Ausübung ihres Berufes durch immer mehr Kosten und Auflagen erschwert, sodass es zusehends schwierig wird, überhaupt eine Hebamme zu finden. Zum anderen kann auch eine Hebamme überfordert sein, Fehler machen oder zu wenig gefühlvoll für die Gebährende sein. Gelingt es medizinischem Personal oder Geburtsbegleitern nicht, respektvoll und empathisch mit der Gebährenden und ihrem Neugeborenen umzugehen, werden bloß Standardprozeduren nach Vorschrift abgearbeitet, statt Mutter und Kind wahrhaft zu sehen und zu unterstützen, kann das bei der Betroffenen zu einer tiefen Krise führen und unten genannte mentale Folgen begünstigen.
"Baby-Blues" und Wochenbettdepressionen
Als „Baby-Blues“ wird umgangssprachlich der hormonbedingte Stimmungsabfall bei Müttern in den ersten Tagen nach der Geburt bezeichnet. Auch Stimmungsschwankungen können zu den Symptomen des Baby-Blues zählen. Etwa die Hälfte aller Mütter sind vom Baby-Blues betroffen. Nach spätestens zwei Wochen sollten sich die Symptome jedoch wieder von selbst normalisieren.
Bleiben depressive Verstimmungen länger präsent oder verstärken sich, kann es sich um eine Wochenbettdepression handeln. Von Wochenbettdepressionen sind etwa 8% aller Mütter betroffen. Die Dauer dieser Depressionsart ist individuell unterschiedlich und kann von wenigen Wochen bis einige Monate reichen.
Was eine Wochenbettdepression von einem Baby-Blues unterscheidet, erfährst du hier.
Postpartale Depressionen (PPD)
Postpartale Depression ist eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung, die von einem „Gefühl der Gefühllosigkeit“ gekennzeichnet ist. Weitere Symptome sind starke Erschöpfung, Antriebslosigkeit, ein Gefühl innerer Leere, sowie Schlafstörungen, Reizbarkeit und Stimmungsschwankungen. Die betroffene Mutter macht sich häufig starke Schuldgefühle, sie würde sich nicht gut genug um ihr Kind kümmern oder sie würde es nicht genug lieben.
Schätzungsweise 10-15% aller Mütter entwickeln eine behandlungsbedürftige depressive Episode nach der Geburt. Postpartale Depressionen werden oft erst spät (oder gar nicht) erkannt, da sie meist erst nach dem letzten Kontrolltermin beim Frauenarzt (6 Wochen nach der Geburt) auftreten.
Übrigens: auch Väter können nach einer Geburt eine postpartale Depression entwickeln! Männer brauchen dann genau wie die Mütter Unterstützung, emotionale Begleitung und ggf. medikamentöse Behandlung.
Zwangsgedanken - Horrorkino im Kopf
Selbst Mütter, die sich ganz auf ihr Kind freuten und eine unproblematische Geburt erlebt haben, können Zwangsgedanken in Bezug auf ihr Neugeborenes entwickeln. Gegenstand der immer wiederkehrenden Gedanken sind Vorstellungen, das Kind schädigen zu müssen, ihm weh zu tun, es zum Schweigen zu bringen oder gar zu töten. Wichtig dabei: es handelt sich um aufdrängende Gedanken, die die Mutter selbst schockieren und die sie NICHT in die Tat umsetzen will. Dennoch weiß sie nicht, mit den Gedanken umzugehen und macht sich selbst große Vorwürfe, wie sie SOETWAS überhaupt denken kann.
Zwangsgedanken nach der Geburt betreffen rund 10 % der Mütter.
Kaiserschnitte und "schwierige" Geburten
Nicht immer ist eine natürliche Geburt möglich. Sei es, weil die Lage des Kindes im Mutterleib ungünstig ist, weil es plötzlich schnell gehen muss (z.B. aufgrund schwächer werdender Herztöne des Babys) oder weil die Mutter unter Schwangerschaftsdiabetes, Schwangerschaftsvergiftung oder Ähnlichem leidet. Kaiserschnitte gelten als Routineeingriffe, dennoch kann – wie bei allen medizinischen Eingriffen – auch hierbei einiges ungünstig verlaufen. So kann es z.B. zu Narkosezwischenfälle, starken Blutungen oder Infektionen kommen.
Ebenfalls stark traumatisierend kann sich das Gefühl, allein gelassen zu werden, auswirken. So berichten nicht wenige Schwangere davon, dass sie trotz Wehen vor dem Kreißsaal abgewiesen wurden, da die dortige Geburtsstation überlastet war oder Personalmangel herrschte. Welche Ängste und Verzweifelung werdende Eltern in solch einer Situation aushalten müssen, können Unbeteiligte kaum ermessen.
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS / PTSD)
Ob eine Geburt traumatisierend ist oder nicht, entscheidet ganz allein das subjektive Empfinden der Betroffenen. Frauen, die unter der Geburt starke Schmerzen, Hilflosigkeit, Ohnmachtsgefühle oder Todesangst erlebt haben, können mitunter eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln. Symptome einer PTBS können „Birth-Flashbacks“ (schmerzhafte innere Bilder des traumatischen Erlebnisses), übermäßige Gereiztheit, Wutausbrüche, die Unfähigkeit, sich zu entspannen, Schlafstörungen etc. sein.
Das Risiko, nach der Geburt eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, liegt bei 3% – in Hochrisikogruppen, sogar bei 15,7%.
Geburtserfahrungen während Corona & Lockdown
Geburten können schon unter „normalen“ Bedingungen schwierig genug sein. Während der Lockdowns galten in Krankenhäusern und Kreißsälen besonders strenge Maßnahmen, sodass Väter oftmals nicht oder nur kurz bei der Geburt dabei sein konnten. Die Mütter fühlten sich häufig sehr alleingelassen in dieser belastenden Zeit. Statt einer entspannten Geburt erlebten sie Ängste, Überforderung, Schmerzen und Einsamkeit. Erfahrungen, die der Verein Motherhood in der Ausstellung #BlackboxGeburt auf berührende Art sichtbar gemacht hat.